Man kann nicht nur um etwas trauern, das man verloren hat. Es ist auch möglich, um etwas zu trauern, von dem man gedacht hat, dass man es eines Tages „haben“ würde und erkennt, dass dies niemals geschehen wird. In dem Moment, wo man sich geschlagen gibt, setzt heilsame Trauer ein. Die trügerische Hoffnung, die vergeblichen Anstrengungen in diese Richtung, alles ist zu Ende. Aber auch der Widerstand gegen die Tatsache, dass das, was man zu brauchen glaubt, nicht erreichbar ist.
Aufgabe von Widerständen und falscher Hoffnung
Wenn ich den Widerstand aufgebe, tritt eine Gesamtentspannung ein, sogar eine gewisse Zufriedenheit in all der Trauer. Eine Last fällt von den Schultern und man bemerkt, dass ein Leben auch ohne das, was man sich so sehnlich gewünscht hat, möglich ist. Man ahnt, dass es sogar ein gutes Leben sein könnte, obwohl man es sich im Moment noch – so mitten in der Trauer – nicht gut vorstellen kann.
Trauer um etwas Verlorenes, Trauer um eine falsche Hoffnung. Trauer heißt, dass ich erkenne, dass der Moment so ist, wie er ist, auch wenn ich glaube, dass mir etwas fehlt. So wie ich es mir gedacht habe, ist es nicht und wird es auch nicht werden. Trauer um eine verflossene Liebe oder sogar darüber, nie wirklich von einem Menschen geliebt worden zu sein. Nie zu einer Familie zugehörig gewesen zu sein und auch zu keiner Familie zu gehören. Es wäre schön (gewesen)….Dieser Gedanke steckt hinter der Trauer.
Selbstmitleid und Selbstmitgefühl
Innerlicher Widerstand gegen das, was ist, tut sehr weh. Als „Selbstmitleid“ bezeichnete mein großer Bruder diesen Zustand, wenn ich als Kind in Verzweiflung versank. Nein, er hatte natürlich kein Mitleid mit mir….war ich also nicht geradezu verpflichtet, mit mir selbst mitzufühlen? Darüber habe ich oft und viel nachgedacht. Ich habe aber erfahren: Es gibt einen Unterschied zwischen „Mitleid“ und „Mitgefühl“. Das betrifft auch „Selbstmitleid“ und „Selbstmitgefühl“.
Als Kind konnte ich das nicht verstehen. Ich litt einfach unter dem Unverständnis der Eltern und meines Bruders und unter der empfundenen Ungerechtigkeit, die ich erfahren hatte. Ich litt und man konnte es mir ansehen. Sehr zur Schadenfreude meines Bruders, der mit Hohn und Spott nicht geizte. Seiner Meinung nach „verging“ ich in Selbstmitleid.
Wie ist das mit der Gerechtigkeit?
Doch Leid kann nur entstehen, wenn ich mich gegen das, was geschehen ist und gegen die augenblickliche Situation wehre. Es hat keinen Sinn, dagegen anzugehen, weil der Status Quo nicht mehr zu ändern ist. Als Kind dachte ich jedoch, dass mir später durch irgendwelche Aktionen „Genugtuung“ verschafft werden könnte. Die Gerechtigkeit müsse doch siegen, oder?
Ich konnte noch nicht weit blicken, sonst hätte ich bemerkt, dass es Gerechtigkeit in dieser Welt nicht gibt. Von vielen Menschen kann man vermuten, dass sie „ungerecht“ behandelt und im Extremfall sogar getötet wurden. Nein, da kommt kein lieber Gott und hält die Hand über diese ungerecht und lieblos behandelten Menschen. Wer diese Tatsache nicht sieht, ist blind und taub. Und Selbstmitleid hat noch niemandem in einer ungerechten Situation weitergeholfen.
Mitfühlen mit sich selbst
„Selbstmitgefühl“ allerdings trägt zum inneren Wachstum bei. Dabei gibt es keinen Widerstand gegen das erlittene Leid und Unrecht. Was passiert ist und was sich mir in diesem Moment bietet, ist da, auch wenn ich es mir anders vorgestellt hätte. Dazu gehören auch meine unangenehmen Gefühle. Wenn ich diese wahrnehme und annehme, also mit mir „mitfühle“, dann vollbringe ich einen Akt der Liebe. Dadurch wird alles paradox – denn auch den Widerstand gegen das, was ist, darf ich fühlen und er wird sich, Schritt für Schritt, verwandeln.
Wut, Verzweiflung, Abwehr gegen das Gefühl der Wertlosigkeit bewusst zu fühlen, ist Selbstmitgefühl und über das Gefühl der unendlichen Trauer strömt genau diese Liebe, die ich eben noch vermisst habe, in mich herein. Zart und scheu noch anfänglich und immer wieder vom Gefühl des Widerstandes verdrängt und davon gejagt, wird sie sich durchsetzen. Je mehr ich die gegebene Situation und Trauer um das Unveränderbare akzeptiere, umso mehr Liebe kann hereinströmen und mich überraschen. Gerade eben habe ich noch um verlorene Liebe getrauert…..und schon kommt sie von ganz anderer Stelle, als ich sie erwartet habe.
Unsere Vorstellung von Liebe
Liebe ist überall und in allem, was um mich herum vorhanden ist. Sie kann gar nicht „zu wenig“ sein. Es ist nur meine Vorstellung darüber, wie Liebe zu mir zu kommen sollte, die enttäuscht werden kann (und wahrscheinlich auch wird). Meine Eltern hätten mich lieben sollen. Ein Partner ist notwendig, um Liebe zu erleben. Geschwister müssen mich doch lieben, oder? Und die eigenen Kinder? Sollten sie nicht ihre Mutter lieben?
Nein, niemand muss mich lieben und es kommt auch häufig vor, dass es so ist. Niemand muss meine Leistungen im Leben anerkennen. Es gibt niemanden auf dieser Welt, der oder die mich überhaupt wahrnehmen muss oder bemerken müsste, was ich getan habe oder noch tue. Es gibt kein Recht darauf, gesehen und anerkannt zu werden. Solange ich darauf bestehe und innerlich darum kämpfe, werde ich unglücklich werden und leiden, sehr schmerzhaft leiden.
Auf das Loslassen falscher Gedanken folgt Trauer und Liebe
Wenn ich unrealistische Ansprüche aufgebe, werde ich wahrscheinlich erst einmal trauern. Mein „Selbstmitgefühl“ wird mich aber zur allgegenwärtigen Liebe des Universums, zur Liebe Gottes führen. Es geht gar nicht anders. Denn die Liebe ist der Weg und das Ziel. Sie ist immer da, auch wenn sie durch Widerstände, Leid und Abwehr nicht gesehen und gefühlt werden kann. Wenn der Widerstand aufgegeben wird und tiefe Trauer einkehrt, wird mich die Liebe auffangen. Dann ist meine Schutzmauer aus Hoffnung und Widerstand verschwunden und ich bin offen für genau das, was ich vermisst habe.
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