Selbstliebe versus Egoismus

Oft höre ich die Frage: Wo ist die Grenze zwischen gesunder Selbstliebe und Egoismus? Gibt es einen gewissen Grad, bis zu dem Selbstliebe gut ist und ab dieser Grenze wird dann Egoismus daraus? Im Allgemeinen wird das so gesehen, als gäbe es eine Grenze. Auch  Ärzte, Psychiater und andere Menschen, die sich mit Narzissmus beschäftigen, stellen das meistens so dar. Sie behaupten – und ihnen wird selten widersprochen – dass jedem Menschen ein gesundes Maß an Narzissmus innewohnen sollte. Das wäre gut so.

Die Aussage dieser Menschen zeigt auf, dass sie das Konzept der „Selbstliebe“, wie es vom Universum gedacht ist, nicht verstanden haben. Ich sage „Konzept“, weil das ein menschlicher Begriff ist und klar macht, dass dieses Konzept vom Konzept des Egoismus und Narzissmus abweicht. Das Problem besteht in den Begriffen. Jeder kann natürlich etwas anderes darunter verstehen.

Selbstliebe, wie ich sie verstehe

So wie ich es verstehe, hat Selbstliebe nicht einmal annähernd etwas mit Egoismus zu tun. Die Liebe zu sich selbst entsteht aus Selbstannahme. Das ist etwas, das wir selbst kaum steuern können. Es ist ein Geschenk des Himmels, wenn wir diese Liebe empfinden dürfen. Sie hat nichts damit zu tun, dass wir uns selbst an die erste Stelle setzen oder uns etwas Gutes tun. Solange wir im Tun verhaftet bleiben, ist es nicht Liebe. Auch nicht Selbstliebe.

Wo Selbstliebe erfahren wird, wird zur gleichen Zeit auch die Liebe zu allem und jedem Lebewesen um uns herum, wahrgenommen. Es ist eine tiefe Erfahrung und wahrscheinlich das höchste Ziel, das wir erreichen können. Wenn wir uns in diesem Zustand befinden, entsteht eine Freude in uns, die unbeschreiblich ist und in tiefe Dankbarkeit mündet. Ich glaube, dass diese Erfahrung außerhalb unseres menschlichen Gehirns stattfindet, außerhalb der Gehirnregionen, in denen Gefühle normalerweise ausgelöst werden.

Ich weiß nicht, woher diese tiefe Liebe zu sich selbst und Allem-Was-Ist kommt. Diese Freude, die am ehesten mit Euphorie beschrieben werden kann, ist eine Freude darüber, dass ich da bin, dass ich leben darf, dass ich keine Angst mehr haben muss, dass ich Vertrauen haben kann und das alles endlich erkennen darf. Daraus entsteht eine tiefe Dankbarkeit, die wieder in Freude mündet. Lebensfreude. Pure Lebensfreude.

Wenn dieser starke, intensive Moment mit seiner Euphorie abklingt und leiser wird (und das wird wahrscheinlich passieren), bleibt doch ein Rest an Erinnerung, an neuer Erfahrung und an die Liebe in mir und für mich selbst zurück. Diese Liebe wohnt in meinem Herzen, in mir selbst. Ich trage sie hinaus in die Welt, wie ein kleines Lichtlein, das nie und nimmer ausgehen kann. Dieses Lichtlein besitzt eine unbändige Kraft. Ich entdecke, dass ich jederzeit, wenn ich Lust dazu habe, wieder zu mir selbst zurückkehren kann und dieses Lichtlein für mich da ist, um mich zu erwärmen und erfreuen. In diesen Momenten fühle ich die Liebe, die Verbindung zu allem, das Vertrauen und die Dankbarkeit auch im Alltag wieder.

Entscheidungen sind schwierig, wenn ich sie für wichtig halte

Das ist für mich Selbstliebe und ich weiß, dass sie in der Lage ist, alles zu heilen. Liebe ist es, die mich aus den Drama des Lebens heraus zieht und mir ein Lächeln schenkt. Sie allein ist es, die mich von Menschen abwenden lässt, die mir nicht gut tun. Bedingungslose Liebe allein ist es, die mir Kraft, Energie und Lebensfreude spendet. Zu ihr allen kann ich Zuflucht nehmen, wenn ich Unsicherheit und Angst verspüre. Sie ist es aber auch, die mir bei Entscheidungen hilft – indem sie mich fühlen lässt, dass es viel Wichtigeres in meinem Leben gibt und das mir niemand mehr nehmen kann: die Liebe. Denn Entscheidungen sind immer dann schwierig, wenn ich ihnen eine Wichtigkeit zuschreibe, die sie in Wahrheit gar nicht besitzen.

Wenn ich zur Liebe zurückkehre, wird das Leben im Außen zum Spiel, bei dem nichts schiefgehen kann. Ich weiß heute, dass meine Probleme im Leben dadurch verursacht wurden, weil ich sie als „wichtige, das Leben beeinflussende Ereignisse“ sah. Ich glaubte, dass jederzeit etwas Negatives passieren könne und dass ich dann die Aufgabe hätte, diese „Probleme“ zu lösen. Die Erfahrung der Selbstliebe hat mich von dieser Bürde weitgehend befreit. Ja, manchmal bin ich noch ganz schön in die Ereignisse im Außen verstrickt und verheddert. Gefühle kommen hoch und ich weiß, dass diese Gefühle anerkannt und gefühlt werden wollen.

Alles bedingungslos annehmen

Wenn ich dann in die Stille gehe, kann ich meine Gefühle zuerst einmal fühlen, dann aber auch liebevoll annehmen. Das bin ich mir schuldig und es tut gut. Die Liebe zu mir selbst und Allem-Was-Ist hilft mir dabei. Ohne sie wäre ich dazu nicht in der Lage. Sie ist es in letzter Konsequenz die mich so wie ich bin, mit all meinen verwirrten Gefühlen und Handlungen, annimmt. Bedingungslos. Sie ist es, die es mir ermöglicht, mehr und mehr die Ereignisse, die im Außen passieren, anzunehmen ohne sie beurteilen zu müssen. Denn die Liebe ist nicht nur bedingungslos mir selbst gegenüber, sondern allem und jedem gegenüber.

Mein menschlicher Körper mit all seinen Gefühlen, Gedanken und Taten wird unweigerlich von der Liebe beeinflusst, wenn er die Liebe zu sich selbst zulässt. Selbstliebe kennenlernen, heißt in letzter Konsequenz nur, Selbstliebe zuzulassen – denn sie ist schon längst da. Hier kommt Gott ins Spiel. Der so oft missbrauchte Begriff. Wer Gott als ein Wesen im Außen sieht, wird ewig suchen oder ihn ewig verleugnen. Sogar wenn man anerkennt, dass Gott „in Allem“ ist, aber sich selbst ausnimmt, kommt man keinen Schritt weiter.

Wir können Gott, die Göttin, die Liebe, in uns selbst finden. Dann erst können wir erkennen, dass dieses göttliche Licht in allen Menschen erstrahlt. Um es genau zu sagen: Exakt in dem Moment, wo du die göttliche Liebe in dir selbst erkennst, erkennst du sie auch in allem, womit du je zu tun gehabt hast und was sich um dich herum befindet. Das ist die Selbstliebe von der ich spreche.

Egoistisch oder lieber altruistisch?

Egoismus, der, wenn er krankhaft stark ausgeprägt ist, als Narzissmus bezeichnet wird, kennt diese bedingungslose Liebe zu sich selbst und anderen nicht. Wir bemerken dann das eigennützige Handeln, die Emotionslosigkeit, die fehlende Empathie. Vielleicht kennst du so einen Menschen und rufst entsetzt aus: „Nein, nein, so will ich nie und nimmer sein!“. Und du hast natürlich recht. So willst du nicht sein, so willst du nicht leben müssen. Ohne Mitgefühl für andere leben zu müssen, ohne Freude am Leben und ohne die daraus resultierende Dankbarkeit – das ist kein schönes Leben.

Weil wir das bewusst oder unbewusst wissen, halten wir uns fern von „egoistischen“ Handlungen und „egoistischer“ Denkweise. Wir werden lieber altruistisch. Das ist gesellschaftlich anerkannt und wird als gut angesehen. Wir fangen an, uns selbst zu kritisieren und sinnlose Forderungen an uns zu stellen. Wir wollen uns dann für andere aufopfern oder zumindest ab und zu anderen etwas Gutes tun. Das streichelt unser Ego. Oder man denkt zuerst einmal an sich, setzt sich selbst an die erste Stelle und hält sich selbst für wichtiger im Leben, als andere, weil „Selbstliebe“ modern ist.

Du bemerkst schon , worauf ich hinaus will. Es ist ganz egal, ob du nur für dich selbst oder nur für andere lebst. Es ist ganz egal, was du tust – mit der bedingungslosen Selbstliebe, die ich oben beschrieben habe, hat das alles nichts zu tun. Handeln wir eingebildet und selbstzentriert, neigen wir zum Narzissmus. Halten wir es für besser, an andere zu denken und uns selbst zu verleugnen, werden wir auch nicht glücklich. Dann leiden wir unter dem Helfersyndrom, sind co-abhängig oder weisen ein co-narzisstisches Verhalten auf. Dann gibt es wohl auch noch den goldenen Mittelweg, den die meisten von uns gehen. Aber macht der allein glücklich?

Ich glaube, dass die Liebe zum Glück führt

Ich glaube, dass die Liebe zum Glück führt. Und sie beginnt mit der Liebe zu sich selbst. Wer sich selbst verleugnet, verleugnet die ihm innewohnende Göttlichkeit und somit auch die Göttlichkeit in allen anderen, in der Natur und in allem, was uns umgibt. Oder nenne es Heiligkeit. Oder gib ihm eine andere Bezeichnung. Für mich ist es die göttliche Liebe, die uns allen innewohnt. In mir selbst kann ich sie suchen und finden.

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